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2. Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur

Bereits im Vorfeld des Reformationsjubiläums 1717 nahmen Gelehrte prestigeträchtige Publikationsprojekte zur Aufarbeitung der Reformationsgeschichte in Angriff. Während heute die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit bedeutenden historischen Ereignissen anlässlich von Jubiläen fast eine Selbstverständlichkeit ist, waren solche Aktivitäten 1717 neu.

Gelehrte begannen, Briefe und Werke von Humanisten wie Erasmus von Rotterdam und Ulrich von Hutten sowie von Reformatoren wie Martin Luther, Philipp Melanchthon und Georg Spalatin zu bearbeiten und neu herauszugeben. Sie schrieben Darstellungen, welche die Geschichte der Reformation auf lokaler, regionaler und europäischer Ebene darstellen sollten. Einige dieser Projekte waren so groß gedacht, dass die Autoren und Herausgeber sie nicht fertigstellen konnten.

Die Hochkonjunktur reformationshistorischer Publizistik um 1717 ist vor allem auf die persönlichen Ambitionen einzelner Gelehrter zurückzuführen. Doch auch die lutherischen Städte''

Bereits im Vorfeld des Reformationsjubiläums 1717 nahmen Gelehrte prestigeträchtige Publikationsprojekte zur Aufarbeitung der Reformationsgeschichte in Angriff. Während heute die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit bedeutenden historischen Ereignissen anlässlich von Jubiläen fast eine Selbstverständlichkeit ist, waren solche Aktivitäten 1717 neu.

Gelehrte begannen, Briefe und Werke von Humanisten wie Erasmus von Rotterdam und Ulrich von Hutten sowie von Reformatoren wie Martin Luther, Philipp Melanchthon und Georg Spalatin zu bearbeiten und neu herauszugeben. Sie schrieben Darstellungen, welche die Geschichte der Reformation auf lokaler, regionaler und europäischer Ebene darstellen sollten. Einige dieser Projekte waren so groß gedacht, dass die Autoren und Herausgeber sie nicht fertigstellen konnten.

Die Hochkonjunktur reformationshistorischer Publizistik um 1717 ist vor allem auf die persönlichen Ambitionen einzelner Gelehrter zurückzuführen. Doch auch die lutherischen Städte und Universitäten und insbesondere die Fürsten nutzten Veröffentlichungen, um ihre Territorien, ihre Höfe, ihre Sammlungen und Bibliotheken als Gedächtnisorte der Reformation zu etablieren. Reformatorische Erinnerungskultur wurde in zunehmendem Maße Teil ihres politischen Handelns. Insbesondere Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg und sein Kirchenrat Cyprian nahmen bei diesen miteinander durchaus konkurrierenden Profilierungsversuchen eine führende Rolle ein. In diesem erinnerungskulturellen Wettstreit entstanden unter Gothaer Schirmherrschaft die „Hilaria evangelica“.

Autor: Daniel Gehrt

Bibliographische Angabe:
Daniel Gehrt: Ernst Salomon Cyprian und die Erinnerungspolitik Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg im Rahmen des Reformationsjubiläums 1717, in: Kathrin Paasch / Christopher Spehr / Siegrid Westphal (Hrsg.): Reformatio & Memoria, Göttingen 2020, S. 117–154, hier S. 127–137.

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Das Reformationsjubiläum inspirierte die Entstehung vieler historiographischer Werke.

Saskia Jähnigen widmet sich einem Beispiel in ihrem Beitrag
Vollständige Reformations-Acta und Documenta. Valentin Ernst Löschers Jubelpredigten und Quellenausgabe (1720–1729).

Ausgabe von Luthers Briefen von Johann Franz Buddeus, 1717.

Forschungsbibliothek Gotha, Th 8° 7297. Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

Das Wettrennen um eine neue Ausgabe von Luthers Briefen

Um 1717 setzte ein regelrechtes Wettrennen um die umfassende Herausgabe der bis dahin noch nicht veröffentlichten Briefe Luthers.

Wer gewann das Rennen?

 

Um 1717 setzte ein regelrechtes Wettrennen um die umfassende Herausgabe der bis dahin noch nicht veröffentlichten Briefe Luthers. Die Publikationsvorhaben von Johann Andreas Schmidt (1652–1726) in Helmstedt und Gottlieb Wernsdorf (1668–1729) in Wittenberg scheiterten an ihren eigenen, stets wachsenden Ansprüchen. Dahingegen veröffentlichte Johann Franz Buddeus (1667–1729) eine unveränderte Zweitauflage seiner 1703 erschienenen Sammlung mit 260 weniger bekannten Luther-Briefen. Da er sie jedoch irreführend und absatzfördernd als „Collectio nova“, als neue Edition ausgab, erhielt er vernichtende Kritiken.  

 


Bibliographische Angabe: Martin Luther: Collectio nova Epistolarum Lutheri occasione Jubilaei Evangelici in lucem data, hrsg. von Johann Franz Buddeus, Halle 1717 (VD18 11401834), Titelblatt. FB Gotha, Th 8° 7297.

Gustav Kawerau: Die Bemühungen im 16., 17. und 18. Jahrhundert, Luthers Briefe zu sammeln und herauszugeben, in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation, Weimar 1917, S. 1–28, hier S. 13.
Vorarbeiten für die 1717 geplante Gothaer Ausgabe von Melanchthons Briefen.

Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 430, Bl. 551r–v, hier Bl. 551r. Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

Ein Jahrhundertunternehmen

Die Herausgabe der Melanchthon-Briefe 1717 bis 1842

Der Gothaer Hof versuchte, den Schwung des bevorstehenden Reformationsjubiläums für seine politische und gelehrte Profilierung zu nutzen.

Was plante der Hof?

Die Herausgabe der Melanchthon-Briefe 1717 bis 1842

 

Der Gothaer Hof versuchte, den Schwung des bevorstehenden Reformationsjubiläums für seine politische und gelehrte Profilierung zu nutzen. So förderte er eine neue, umfassende Ausgabe der Briefe des Wittenberger Reformators und europäischen Gelehrten Philipp Melanchthon. Das Vorhaben wurde jedoch abrupt abgebrochen und geriet schon bald in Vergessenheit. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es von dem Gothaer Generalsuperintendenten Karl Gottlieb Bretschneider (1776–1848) wiederaufgenommen. Bretschneider gab damit die erste moderne Edition von Melanchthons Briefwechsel heraus.

 


Bibliographische Angabe: [Samuel Cnauth]: Verzeichnis von Drucken und Handschriften für die Erstellung einer neuen Edition von Melanchthons Briefen, [1717]. FB Gotha, Chart. A 430, Bl. 551r–v, hier Bl. 551r.

Daniel Gehrt / Kathrin Paasch (Hrsg.): Melanchthon in Gotha. Eine Sammlungs- und Forschungsgeschichte, Gotha 2016, hier S. 52–60.

Schlagworte

Melanchthon Brief, Reformationsjubiläum

Relevante und verbundene Orte

Relevante und verbundene Personen

Bildnis Luthers in der 1718 von Cyprian herausgegebenen Chronik der Reformation von Spalatin.

Forschungsbibliothek Gotha, Theol 8° 00263/16 (02). Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

Georg Spalatins Auferstehung 1717 in Gotha

Am 11. Februar 1717 machte Ernst Salomon Cyprian einen überraschenden Fund in der Gothaer Hofbibliothek.

War es ein Schlossgespenst?

 

Am 11. Februar 1717 machte Ernst Salomon Cyprian einen überraschenden Fund in der Gothaer Hofbibliothek. Er entdeckte handschriftliche Dokumente wichtiger Akteure der Reformation, die Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) zwischen 1688 und 1692 für seine bahnbrechende Reformationsgeschichte verwendet hatte. Euphorisiert von diesem Fund schrieb Cyprian, Georg Spalatin, der Berater Friedrichs des Weisen, sei „aus dem Grab“ gestiegen, verdeutlichten doch die handschriftlichen Dokumente dessen besondere Rolle für die kursächsische Politik für den Schutz Luthers. Cyprian veröffentlichte seinen Fund 1717 und 1718.

 


Bibliographische Angabe: Georg Spalatin: … Annales Reformationis Oder Jahr-Bücher von der Reformation Lvtheri …, hrsg. von Ernst Salomon Cyprian, Leipzig: Joh[ann] Ludwig Gleditsch und Moritz Georg Weidmann, 1718, Titelblatt und Frontispiz mit Lutherporträt. FB Gotha, Theol 8° 00263/16 (02).

Daniel Gehrt: Georg Spalatin als Historiograph der Reformation, in: Armin Kohnle / Christina Meckelnborg / Uwe Schirmer (Hrsg.): Georg Spalatin – Steuermann der Reformation. Ausstellungskatalog, Halle 2014, S. 126–136, hier S. 133f.
Kupferstich der Wittenberger Schlosskirche in Abhandlung von Matthäus Faber, 1717.

Forschungsbibliothek Gotha, Opp 8° 1402/2. Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

Wittenberg als Erinnerungsort der Reformation

Der Wittenberger Theologe Gottlieb Wernsdorf scheiterte an der Herausgabe der Briefe Luthers und konnte somit nicht mit den Gothaer und Helmstedter Quellenausgaben konkurrieren.

Wie konnte er dafür kompensieren?

 

Der Wittenberger Theologe Gottlieb Wernsdorf scheiterte an der Herausgabe der Briefe Luthers und konnte somit nicht mit den Gothaer und Helmstedter Quellenausgaben konkurrieren. Es gelang ihm dennoch, Wittenberg als Erinnerungsort der Reformation zu etablieren. In seiner Vorrede zu Matthäus Fabers Geschichte der Wittenberger Schlosskirche griff Wernsdorf Luthers Thesenanschlag an die Kirchentür auf und charakterisierte ihn als vernichtenden Stoß gegen den Papst. Durch diese Tür sei Jesus Christus erneut mit dem Evangelium in die Kirche eingezogen; von Wittenberg aus sei nunmehr die Wahrheit in die Welt getragen worden.

 


Bibliographische Angabe: Matthäus Faber: Kurzgefaste Historische Nachricht Von der Schloß- und Academischen stiffts Kirche zu Aller-Heiligen in Wittenberg …, Wittenberg 1717 (VD18 11482060), Frontispiz. FB Gotha, Opp 8° 1402/2.

Daniel Gehrt: Ernst Salomon Cyprian und die Erinnerungspolitik Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg im Rahmen des Reformationsjubiläums 1717, in: Kathrin Paasch / Christopher Spehr / Siegrid Westphal (Hrsg.): Reformatio & Memoria, Stuttgart 2020, S. 117–154, hier S. 135f.

Schlagworte

Wittenberger Schlosskirche, Thesenanschlag, Luther Brief, Erinnerungsort

Relevante und verbundene Orte

Relevante und verbundene Personen

3. Das Reformationsjubiläum als Politikum