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3. Das Reformationsjubiläum als Politikum

Zum zweiten Reformationsjubiläum 1717 war die politische Konstellation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation anders als einhundert Jahre zuvor. Während die Kurpfalz und Kursachsen 1617 federführend gewirkt hatten, wurden 1717 beide protestantischen Territorien von katholischen Fürsten regiert. Die reformierten Reichsstände, die sich 1617 zwar nur teilweise mit der lutherischen Reformation identifizierten, wollten damals jedoch durch ihre Teilnahme am Jubiläum jeglichen Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 ausschließen. Nachdem ihr Glauben durch den Westfälischen Frieden von 1648 legitimiert und reichsrechtlich gesichert worden war, hatten sie kein Interesse mehr daran, bei den Reformationsfeierlichkeiten von 1717 dabei zu sein.  

So wurden 1717 die lutherische Kleinfürsten im Alten Reich zu Hauptträgern der Jubiläumsfeierlichkeiten. Bei der Zusammenkunft der im Corpus Evangelicorum organisierten evangelischen Reichsstände, zu denen sowohl die''

Zum zweiten Reformationsjubiläum 1717 war die politische Konstellation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation anders als einhundert Jahre zuvor. Während die Kurpfalz und Kursachsen 1617 federführend gewirkt hatten, wurden 1717 beide protestantischen Territorien von katholischen Fürsten regiert. Die reformierten Reichsstände, die sich 1617 zwar nur teilweise mit der lutherischen Reformation identifizierten, wollten damals jedoch durch ihre Teilnahme am Jubiläum jeglichen Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 ausschließen. Nachdem ihr Glauben durch den Westfälischen Frieden von 1648 legitimiert und reichsrechtlich gesichert worden war, hatten sie kein Interesse mehr daran, bei den Reformationsfeierlichkeiten von 1717 dabei zu sein.  

So wurden 1717 die lutherische Kleinfürsten im Alten Reich zu Hauptträgern der Jubiläumsfeierlichkeiten. Bei der Zusammenkunft der im Corpus Evangelicorum organisierten evangelischen Reichsstände, zu denen sowohl die lutherischen als auch die reformierten Territorien gehörten, unterstützte Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg den Vorschlag Hessen-Darmstadts, das Jubiläum in sämtlichen protestantischen Städten und Territorien am 31. Oktober in gleicher Art und Weise zu feiern. Der katholische Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen (1670–1733), seit 1697 auch König von Polen-Litauen, und der reformierte Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg, auch König von Preußen, verhinderten jedoch eine solche Demonstration protestantischer Geschlossenheit. Zudem forderten sie, jegliche kontroversen Publikationen zu unterbinden, um keine weiteren Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken zu provozieren.

Die einzige Großmacht in Europa, die nunmehr das Reformationsjubiläum entscheidend förderte, war Dänemark-Norwegen. Dessen König Friedrich IV. (1671–1730) profilierte sich als Schirmherr der Feierlichkeiten, indem er in seinem und sämtlichen norddeutschen Territorien ein achttägiges Kirchenfest anordnen ließ. Alle anderen Territorien beschränkten die Festlichkeiten auf höchstens drei Tage.

Autor: Daniel Gehrt

Bibliographische Angabe:
Wolfgang Flügel: Konfession und Jubiläum. Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenkkultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005, hier S. 137–146.

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Wo wurde in Europa am meisten gefeiert?

Dies erkundet Joar Haga in seinem Beitrag
“The King’s Celebration. The Reformation Bicentenary in Denmark-Norway in 1717“.
 

Warum war das Reformationsjubiläum 1717 politisch so umstritten?

Wolfgang Flügel beleuchtet dies in seinem Beitrag
„Das Reformationsjubiläum 1717 im Schnittpunkt von politischen und konfessionellen Konflikten“.

König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, 1741.

Forschungsbibliothek Gotha, Hist 8° 1920/3 (1). Public Domain Mark 1.0.

 

Der kurbrandenburgische Hof feiert ein anderes Jubiläum 1713

Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg, König von Preußen (1688–1740), ordnete für den 28. Dezember 1713 eine Jubiläumsfeier anlässlich der sich zum 100. Mal jährenden Konversion seines Ururgroßvaters Johann Sigismund von Brandenburg (1572–1619) zum reformierten Glauben an.

Fielen dann 1717 die Feierlichkeiten aus?

 

Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg, König von Preußen (1688–1740), ordnete für den 28. Dezember 1713 eine Jubiläumsfeier anlässlich der sich zum 100. Mal jährenden Konversion seines Ururgroßvaters Johann Sigismund von Brandenburg (1572–1619) zum reformierten Glauben an. Dieser Glaubenswechsel war von identitätsstiftender Bedeutung für die Dynastie der Hohenzollern. 1717 hingegen ließ der Kurfürst das Jubiläum der Wittenberger Reformation nicht an seinem Hof festlich begehen. Seine lutherischen Untertanen durften ausschließlich am Sonntag, dem 31. Oktober, Jubiläumsgottesdienste abhalten.

 


Bibliographische Angabe: Antoine Augustin Bruzen de La Martinière: Histoire De La Vie Et Du Regne De Frederic-Guillaume Roi De Prusse, Electeur De Brandebourg …, Bd. 1, Den Haag 1741, Frontispiz. FB Gotha, Hist 8° 1920/3 (1).

Harm Cordes: Hilaria evangelica academica. Das Reformationsjubiläum von 1717 an den deutschen lutherischen Universitäten, Göttingen 2006, hier S. 23f. Wolf-Friedrich Schäufele: Christoph Matthäus Pfaff und die Kirchenunionsbestrebungen des Corpus Evangelicorum 1717–1726, Mainz 1998, hier S. 96f. Hans-Jürgen Schönstädt: Das Reformationsjubiläum 1717. Beiträge zur Geschichte seiner Entstehung im Spiegel landesherrlicher Verordnungen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S. 58–118, hier S. 78–86.
König August II. von Polen, 1733.

Forschungsbibliothek Gotha, Hist 8° 5740/3. Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

An den kursächsischen Zensurmaßnahmen vorbei

In Kursachsen, dem Stammland der Reformation, wurde der 31. Oktober seit 1668 jährlich gefeiert.

Und als der Landesherr katholisch war?

 

In Kursachsen, dem Stammland der Reformation, wurde der 31. Oktober seit 1668 jährlich gefeiert. Ungeachtet der identitätsstiftenden Bedeutung der lutherischen Konfession für Land und Dynastie konvertierte Kurfürst Friedrich August I. 1697 anlässlich der Annahme der polnischen Krone zum Katholizismus. Nicht zuletzt deshalb verbot er 1717 alle Schmähschriften gegen die Kirche in Rom. Die führenden lutherischen Theologen in Wittenberg und Dresden unterliefen diese Zensur jedoch geschickt, indem sie ihre vernichtenden Urteile über das Papsttum moderater und weniger explizit als einhundert Jahre zuvor formulierten.

 


Bibliographische Angabe: [David Fassmann]: Das Glorwürdigste Leben und Thaten Friedrich Augusti, deß Großen, Königs in Pohlen und Chur-Fürstens zu Sachsen …, Hamburg / Frankfurt 1733, Frontispiz. FB Gotha, Hist 8° 5740/3.

Harm Cordes: Hilaria evangelica academica. Das Reformationsjubiläum von 1717 an den deutschen lutherischen Universitäten, Göttingen 2006, hier S. 24–38. Wolfgang Flügel: Konfession und Jubiläum. Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenkkultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005, hier S. 143–155. Hans-Jürgen Schönstädt: Das Reformationsjubiläum 1717. Beiträge zur Geschichte seiner Entstehung im Spiegel landesherrlicher Verordnungen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S. 58–118, hier S. 86–91.

Schlagworte

Katholizismus, Papsttum, Zensur, Konversion

Relevante und verbundene Orte

Relevante und verbundene Personen

Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, 1719.

Forschungsbibliothek Gotha, Theol. 2° 270/8. Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

Gotha wirbt für gemeinsame Jubiläumsfeierlichkeiten in Nord- und Mitteleuropa

Während Kurbrandenburg und Kursachsen die Feierlichkeiten einschränkten, versuchte Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg möglichst viele Territorien in Nord- und Mitteleuropa für gemeinsame Jubiläumsfeierlichkeiten zu gewinnen.

Welches Ziel verfolgte er?

 

Während Kurbrandenburg und Kursachsen die Feierlichkeiten einschränkten, versuchte Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg möglichst viele Territorien in Nord- und Mitteleuropa für gemeinsame Jubiläumsfeierlichkeiten zu gewinnen. Der Fürst beabsichtigte damit, sich selbst als protestantischen Führer im Alten Reich zu profilieren. Zu diesem Zweck berichtete sein Kirchenrat Cyprian frühzeitig über die Planungen lutherischer Kirchen in Europa, ein Jubelfest auszurichten. Als Vorlage für die ernestinischen Territorien, zu denen Sachsen-Gotha-Altenburg gehörte, aber auch für andere Interessierte druckte er die Verordnungen des Hauses Sachsen für das dreitägige Fest im Jahr 1617 ab.

 


Bibliographische Angabe: Ernst Salomon Cyprian: Hilaria Evangelica, Oder Theologisch-Historischer Bericht Vom Andern Evangelischen Jubel-Fest ..., Gotha: Moritz Georg Weidmann, 1719 (VD18 90010523), Frontispiz. FB Gotha, Theol. 2° 270/8.

Harm Cordes: Hilaria evangelica academica. Das Reformationsjubiläum von 1717 an den deutschen lutherischen Universitäten, Göttingen 2006, hier S. 29–31. Wolfgang Flügel: Konfession und Jubiläum. Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenkkultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005, hier S. 137f. Hans-Jürgen Schönstädt: Das Reformationsjubiläum 1717. Beiträge zur Geschichte seiner Entstehung im Spiegel landesherrlicher Verordnungen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S. 58–118, hier S. 94–99.

Schlagworte

Reformationsjubiläum

Relevante und verbundene Personen

Weiterführende Links

König Friedrich IV. von Dänemark-Norwegen, 1705.

Forschungsbibliothek Gotha, Hist 8° 2524/3 (2). Public Domain Mark 1.0.​​​​​​​

 

Dänemark-Norwegen übertrumpft das übrige Europa

König Friedrich IV. von Dänemark-Norwegen nutzte das Jubiläum 1717, um sich als Schutzherr des Luthertums in Europa zu präsentieren.

Durch welche Mittel?

 

König Friedrich IV. von Dänemark-Norwegen nutzte das Jubiläum 1717, um sich als Schutzherr des Luthertums in Europa zu präsentieren. So ließ er sich auf einer großen Silbermedaille als „Beförderer und Beschützer des Evangeliums“ bezeichnen. Für eine Prozession beorderte er sämtliche Geheimräte, Ritter, Grafen und Freiherren, die unter seiner Herrschaft standen, für den 31. Oktober nach Kopenhagen. Er ließ ein achttägiges Fest feiern und richtete damit die umfangreichsten Feierlichkeiten in Europa aus.

 


Bibliographische Angabe: Tormod Torfæus: Universi Septentrionis Antiqvitates, Seriem Dynastarum Et Regum Daniæ, … Exhibentes, Sub Augustissimi Regis Friderici Qvarti …, Kopehagen 1705, Frontispiz. FB Gotha, Hist 8° 2524/3 (2).

Carsten Bach-Nielsen: Frau jubelfest til kulturår. Danske reformationsfejringer gennem 400 år, Aarhus 2015, hier S. 49–81. Hans-Jürgen Schönstädt: Das Reformationsjubiläum 1717. Beiträge zur Geschichte seiner Entstehung im Spiegel landesherrlicher Verordnungen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S. 58–118, hier S. 104f.

Schlagworte

Medaille, Prozession, Reformationsjubiläum

Relevante und verbundene Orte

Relevante und verbundene Personen

4. Feierlichkeiten an den Peripherien des europäischen Luthertums