Lehnstuhl | phantasieren
Globalisierung fand auch zu Hause statt: Nicht nur Seefahrer, Kaufleute und Wissenschaftler entwickelten im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Interesse an den Meeren und ihrer Darstellung. Auch in privaten Haushalten fanden sich Karten, Bücher, Zeitschriften und Atlanten, deren Ozeane zum Träumen und Phantasieren anregen konnten und zunehmend auch zu Urlaubsreisen. Bald warben bunte Plakate für Schiffsreisen an die Strände meist nicht allzu weit entfernter Inseln.
Bradshaw’s Monthly Continental Railway, Steam Transit, and General Guide (London 1887)
Bradshaw’s Monthly Continental Railway, Steam Transit, and General Guide (London 1887)
1839 veröffentlichte George Bradshaw (1801–1853) einen Fahrplan aller Bahnverbindungen in Großbritannien. In den laufend aktualisierten Ausgaben kamen bald Dampferlinien und Postkutschenrouten aus allen Teilen der Welt dazu. So konnte man im »Bradshaw's«vom Februar 1866 eine Seereise von Bombay nach Shanghai (26 Tage) ebenso planen wie eine Fahrt mit der Bahn von Bremen nach Geestemünde (1 Std 40 Min.) oder mit der Postkutsche von Gotha nach Langensalza (1 ¼ Std.). Auch Jules Vernes Romanheld Phileas Fogg plant seine »Reise um die Welt in 80 Tagen« mit einem »Bradshaw's«.
Relevante und verbundene Personen
Weiterführende Links
Die Ausgabe von 1870 im Katalog der Universitätsbibliothek Erfurt (Signatur: UB Erfurt 697549)
Briefumschlag für Mr. Carrington’s Pocket Maps (1864)
Briefumschlag für Mr. Carrington’s Pocket Maps (1864)
Am besten reist es sich mit leichtem Gepäck – einen Beitrag dazu leisteten etwa Faltpläne, Karten im Miniaturformat, die sich »zurechtfalten« und in einem Briefumschlag (der hier leider ohne Inhalt daherkommt) verstauen ließen. Diese waren oftmals zusammen mit einem Kursbuch oder Fahrplan erhältlich – all das praktischerweise im Westentaschenformat.
Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, SPK 547$111814502
National Geographic Magazine (1935)
National Geographic Magazine (1935)
Geographische Fachzeitschriften wie das »National Geographic Magazine« sind und waren kein Ersatz für eigens unternommene Reisen und vor Ort gesammelte Erfahrungen. Jedoch fassen sie ausgewählte Teile der Welt in kompakter Papierform zusammen und vereinen Karten und Fotografien von fernen Orten, Menschen und Kulturen. Sie eignen sich daher durchaus für den daheimgebliebenen Lehnstuhlreisenden, erweitern Horizonte und bringen sie hervor – sie propagieren und glätten zugleich die Vielfalt.
Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, SPZ 8°02790
So hatte also Phileas Fogg seine Wette gewonnen, denn er hatte die Reise um die Erde in achtzig Tagen gemacht! Zu diesem Zweck hatte er alle Arten von Transportmitteln gebraucht, Packetboote, Eisenbahnen, Wagen, Yachte, Handelsfahrzeuge, Schlitten, Elepha
Jules Verne, Reise um die Erde in 80 Tagen, 1875.
Jules Verne, Le tour du monde en quatre-vingts jours (Paris 1873)
Jules Verne, Le tour du monde en quatre-vingts jours (Paris 1873)
In 80 Tagen um die Welt: Jules Verne schließt 1873 eine Wette auf die Globalisierung ab. Der Held seines Romans, ein ebenso reicher wie exzentrischer englischer Gentleman, setzt sein gesamtes Vermögen auf die Effizienz der neuesten verkehrstechnischen Errungenschaften. Verne hat diese Reise am heimischen Schreibtisch konstruiert, mit Hilfe von Hermann Berghaus’ »Chart of the World« und Bradshaw’s »Continental Railway, Steam Transit, and General Guide«.
Le Tour du Monde en Quatre-Vingts-Jours par Jules Verne, Erstausgabe, J. Hetzel und Cie., Paris 1873.
Relevante und verbundene Personen
Vergnügungs- und Erholungsreisen zur See (Hamburg, Jahr unbekannt)
Vergnügungs- und Erholungsreisen zur See (Hamburg, Jahr unbekannt)
Selbstsicher überziehen feine Linien das Erdenrund und behaupten, die Weite sei mühelos zu bezwingen. Versprochen wird kein ökonomisches und passives Transportiert-Werden, sondern das Erlebnis an Bord selbst tritt in den Mittelpunkt. Das Meer wird zum Freizeitraum, und der beworbene Dampfer dient Vergnügungs- und Erholungsreisen, eigens und ausschließlich.
Maße: 148x105mm
DSM | Leibniz-Institut für Maritime Geschichte, Bremerhaven, Signatur: II 4 IX 75 (Plakatsammlung)
Herman Habenicht, Justus Perthes’ See-Atlas (Gotha 1894)
Herman Habenicht, Justus Perthes’ See-Atlas (Gotha 1894)
Der Atlas erschien zwischen 1894 und 1944 in zahlreichen Auflagen. Reisetauglich, im handlichen Taschenbuchformat, ist das Büchlein ein idealer Begleiter im Gepäck. Übersichtskarten bieten Orientierung, Detailkarten zeigen, wie man in einen Hafen gelangt. Daneben finden sich nautische Informationen: Grundlagen der Navigation, Bedeutungen von Seezeichen und Hinweise auf Gefahren. Um wirklich zu navigieren, sind die Karten jedoch zu klein. Eher lädt der kleine Atlas ein, sich im heimischen Lehnstuhl auf ferne Meere zu versetzen.
Maße: 100x170x25mm
Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, SPA 8°01414
Relevante und verbundene Personen
Weiterführende Links
Digitalisat in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha:
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-80c9f59d-db15-4136-8365-95878ee3adfe4
Von Hamburg über Cuxhaven und Helgoland nach Sylt (Hamburg, um 1930)
Von Hamburg über Cuxhaven und Helgoland nach Sylt (Hamburg, um 1930)
Großformatige Werbeplakate wie dieses berichten von einem Meer, das kein Hindernis mehr darzustellen scheint und sich dem Massentourismus der Zeit fügt. Ein überproportional großes Schiff steuert dabei den ikonischen Umriss von Sylt an und lässt »echte« Entfernungen schrumpfen. Abgebildet wird nur das Ziel, keine Route – gleichsam als wäre man schon da, begibt man sich nur in die vertrauensvollen Hände der HAPAG.
Maße: 148x105mm
DSM | Leibniz-Institut für Maritime Geschichte, Bremerhaven, Signatur: II 4 IX 109 (Plakatsammlung)
»In einem Pfennig ist so viel schlummernde Energie gebannt, dass sie hinreichen würde, einen 40.000-Tonnen-Dampfer dreimal um die Erde zu treiben, wenn man sie völlig ausnutzen könnte.« (Illustration von Fritz Kahn, 1933)
»In einem Pfennig ist so viel schlummernde Energie gebannt, dass sie hinreichen würde, einen 40.000-Tonnen-Dampfer dreimal um die Erde zu treiben, wenn man sie völlig ausnutzen könnte.« (Illustration von Fritz Kahn, 1933)
Fritz Kahn (1888–1968) – Meister der Infografik und zeitlebens darum bemüht, Wissenschaft gemeinverständlich darzustellen – nutzte für seine graphischen Übersetzungen auch die Erdgestalt. Um deren Größe fassbar zu machen, bediente er sich zuweilen kurioser Vergleichsobjekte. Was zudem zwischen den Zeilen lesbar wird, wenn von Pfennigen, theoretischer Energie und Erdumrundungen die Rede ist, ist eine zunehmende Globalität und eine Welt, die in ihrer Ganzheit vorstellbarer wird, vorstellbarer erscheint.
Maße: 148x105mm
Aus: Kahn, Fritz (1933): „Mit einem Pfennig dreimal um die Welt!“ [Grafik]. In: Debschitz, Uta von/Thilo von (Hrsg.) (2013): Fritz Kahn. Köln: TASCHEN GmbH, S. 267.
NATUR-BILDER DER BERLINER MORGENPOST/Ullstein, Berlin 1933, no. 51, Fritz Schüler, © A. Springer